My interview with Mario Batkovic in his music cave in the basement of Progr Art Centre in Berne was the cover story in Schweizer Musikzeitung, January/February 2023. As it is not accessible easily via the publication's homepage, here's the text as delivered, minus (most of) the fabulous photos by Holger Jacob. Sorry, it's in German. If anyone is interested in publishing an English version, I'd be happy to translate...
Zur Begrüssung überreicht Mario Batkovic das archetypische Arbeitsgerät eines Gitarristen: ein Plektrum. Nur, auf seinem steht als subversive Message eine Herausforderung: „Play Accordion“. Vor fünfzehn Jahren nistete sich der Berner Akkordeonist mit bosnischen Wurzeln im Keller des Kulturzentrums Progr ein. Heute präsentiert sich sein Studio als eine Wundergrotte musikalischer Grenzenlosigkeit. Natürlich stehen Akkordeons aller Art herum – darunter ein computerisiertes Prachtexemplar, das ihm Stephan Eicher ins Zimmer gestellt hat, damit er seine Parts einprogrammieren kann für die Auftritte während der baldigen Eicher-Tournee, bei denen er wegen anderen Verpflichtungen passen muss.
Daneben aber sind unzählige andere Instrumente zu sehen: Klaviere, Flöten, Gitarren, Synthesizer zuhauf – und manch anderes Stück, das einem verrückten Zoo von raren Tasten-, Saiten- und Klappertieren entsprungen zu sein scheint. Die Einrichtung widerspiegelt die Musik, die hier entsteht. Gerade erklingen furchterregende Jodeleien aus der Ecke, wo Tontechniker Nico den Soundtrack von „Mad Heidi“ für die Albumveröffentlichung aufbereitet. Vor wenigen Wochen wurden Batkovics Kompositionen – „ohne Akkordeonpart!“ – in der Elbphilharmonie in Hamburg aufgeführt. Seine irgendwo zwischen Neuer Musik, Ambient und sakralen Klängen angesiedelte Akkordeonmusik wiederum erscheint bei dem von Ex-Portishead-Mitglied Geoff Barrow in Bristol kuratierten Plattenlabel Invada.
Ein Plektrum! Ist das nicht Sakrileg für einen Akkordeonisten?
Akkordeonisten sind nicht cool. Gitarristen sind cool. Wenn Du es nicht glaubst, musst Du nur mal auf dem Bahnhof Bern herumgehen. Mit dem Gitarrenkoffer, kein Problem. Mit dem Akkordeon auf dem Rücken wirst Du behandelt wie ein Erstklässler im Körper eines 42jährigen. Ich habe mir überlegt, worin liegt der Unterschied? Es ist die Spielposition (er mimt verschiedene Rock’n’Roll-Stellungen, dann sitzt er ab und drückt imaginäre Akkordeonknöpfe) und es ist dieses Teilchen hier (hält das Plektrum in die Luft). The secret of rock’n’roll! Wenn sie so eins in Publikum schmeissen, geht ein Riesengeschrei los. Ich dachte mir: das brauch ich auch. So habe ich jetzt auch eins, das ich ins Publikum werfen kann – und die Frage stellen: Warum darf man mit einem Instrument Dinge tun, mit einem anderen aber nicht?
Mit Klischees wirst Du es genug oft zu tun gehabt haben, besonders als akkordeonspielender Teenager!
Allgemein. Ja, nur. Aber man wird ja mit Klischees schon überrannt, wenn man nur die Ortschaft wechselt. Jede Gesellschaft beansprucht für sich das Recht, zu wissen, was recht ist und was falsch. Damit war ich immer konfrontiert. Dabei gibt es das doch gar nicht, richtig und falsch.
War das schon in Bosnien so, oder erst hier (Batkovic kam mit elf Jahren in die Schweiz).
Das ist immer so, das Leben lang. Die einen finden Mad Heidi geil, die anderen nicht. Klassiker finden Pop Scheisse, Popmusiker finden Contemporary Music Scheisse. Alle finden irgendetwas Scheisse.
Vor allem mit Deinen Solo-Alben hast Du eine Musik geschaffen, die in keine Schublade passt. Man würde meinen, es gibt darum auch keine Angriffsfläche mehr.
Im Gegenteil! Wenn Du Kofi Annan spielen willst, bekommst Du von allen Seiten auf den Rücken. Für das, was ich erschaffen habe, brauchte es eine verdammt dicke Haut.
Und 10‘000 Stunden üben?
Nein, zu denen gehöre ich nicht! Aus klassischer Sicht bin ich ein fauler Sack. Ich habe nie geübt mit dem Akkordeon. Ich sehe mich deswegen auch nicht als Akkordeonist. Ich bin ein Musiker, der Akkordeon spielt. Ich übe nicht, sondern ich spiele. Ich spiele Konzerte. Wenn ich übe, dann ist es für eine Aufnahme von einem neuen Stück. Wenn ich es aufgenommen habe, spiele ich es nie wieder so. Ich hätte ja auch gar keine Zeit zum Üben. Vier Filme habe ich heuer vertont und sechzig Konzerte gegeben.
Der Legende nach hast du mit vier Jahren Handorgel gespielt. Stimmt das?
Nein – aber als ich vier Jahre alt war, haben mich Töne zu interessieren begonnen. Mein Onkel schenkte mir ein Akkordeon, „Weltmeister“ war die Marke, ganz rot und ganz klein war es, und das war denn halt mein Medium. Es gab einfach nichts anderes. Meine erste Jukebox, mein erster DJ. Heute wächst man mit dem Handy auf. Das ist dann dein Medium. Wenn ich heute wählen müsste, käme ich definitiv nicht aufs Akkordeon.
Sondern die Gitarre?
Jedenfalls etwas, wo ich nicht so hart arbeiten müsste für das Recht, eigenständige Musik zu machen.
War es vielleicht gerade dieser Kampf, der Dir die Stärke gegeben hat, aus den Schablonen auszubrechen und Musik zu schaffen, die nirgends einzupassen ist?
Gar nicht! Musik ist definitiv eine Erziehungsfrage. Das wird oft unterschätzt. Du hörst ja von Kind auf die Musik aus deiner Umgebung, die dir vorgibt, was richtiges Hören ist. Wenn wir in Indien geboren wären, dann wäre indische Musik für uns das Natürlichste auf der Welt. Darüber, ob das nun unser Stil sei, ob er uns gefällt, können wir uns nachher streiten. Aber wenn wir jetzt von Bern aus nach Indien gingen, fänden wir die Musik dort zehn Minuten lang interessant, danach wäre es nur noch Lärm, den wir nicht verstehen. Es spielt keine Rolle, woher man kommt, sondern in welchem Umkreis man aufgewachsen ist. Was einen geprägt hat, die Menschen rundum. Doch gibt es etwas Verbindendes, und das ist die Liebe zu den Tönen. Sie ist unabhängig von Stilrichtungen. Das habe ich sehr früh erfasst.
Du hast irgendwo gesagt, dass Töne ein besseres Kommunikationsmittel seien für Dich als Worte. Dabei kannst du verdammt gut reden!
Ja, aber ich trete oft in Fettnäpfchen. Das was in meinem Gehirn steckt, kann ich nicht innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde aussprechen. Aber innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde kann ich es spielen.
So ermöglichte die Musik seit deiner Kindheit quasi den Ausbruch aus den Limitierungen von Gehirn und Sprache?
Nicht nur vom Gehirn. Auch von der Gesellschaft. Musik hat mir geholfen, gewisse Sachen zu machen, die ich ohne dieses Medium nicht hätte machen können. Wenn man in eine neue Stadt kommt zum Beispiel, man kann ja mit jedem Job einen gewissen Kreis bedienen, in einer Bar etwa, eine Arbeit, die ich sehr schön finde. Aber mit Musik als Medium kannst Du auch Menschen ausserhalb dieser Bar erreichen. Es hilft Dir beim Aufbruch und beim Ausbruch. Bricht Türen auf. Räumt Hindernisse aus dem Weg. Und wenn Du an Töne glaubst und Dir Mühe gibst, kannst du auch soziale Unterschiede aufbrechen. Du kannst für den Landespräsidenten spielen und für die Menschen, die nichts haben.
Welche Platten hast Du als Teenager gehört?
Mein erstes Konzert besuchte ich mit neun Jahren, eine ganz üble Popband in Yugoland, den Namen verrate ich nicht. Sowieso, Namen kann ich mir nicht merken, Titel auch nicht – aber Töne kann ich mir merken. Ich war nie ein Konsument. Weil ich so viel umziehen musste, hatte ich nie Zeit, in einer Gesellschaft sesshaft zu werden. Und deswegen hatte ich nie das Geld, Platten zu kaufen. Also habe ich nur konsumiert vom Radio. Vom Hören. Nachher habe ich versucht, das Gehörte nachzuspielen. Wenn mir etwas gefiel, spielte ich es sofort nach. Das machte mir mehr Spass, als den Song nochmals zu hören.
Immer auf dem Akkordeon?
Nein, nein, natürlich nicht! Mit elf habe ich dann das Klavier entdeckt. Gelernt habe ich es im Laden. Als ich mich zum ersten Mal selbstständig bewegen durfte, habe ich die Musikshops entdeckt und gemerkt, dass man dort gratis Instrumente testen darf. Ein Klavier konnten wir uns nicht leisten. So bin ich dann jeden Tag in den Laden gegangen und habe alle Synthis durchprobiert.
Die Shops werden Dich geliebt haben!
Ich konnte ja noch kein Deutsch, ich hatte keine Ahnung, ob die mich gehasst haben oder nicht! Und ich musste ausbrechen! Genauso hat mir auch ein einziges Instrument nie gereicht. Alle habe ich ausprobieren wollen. Alle!
Und wenig später ist schon die erste Aufnahme von Dir in die Läden gekommen…
«Tram und Trampel» von Lorenz Pauli. Da war ich 15. Ich hatte noch nicht einmal einen Kassettenrekorder, aber ich sah meinen Namen auf einer Kassette. Das Ego hatte Freude, aber der Sinn und Zweck, etwas nicht zum Sterben zu verurteilen, sondern am Leben zu erhalten, indem man es aufnimmt, das hat mich fasziniert. So war ich dann Mario, der Kindermusiker. Dann als ich in Deutschland studierte, spielte ich viel Piazzolla, da galt ich dann plötzlich als dieser Piazzolla-Typ. Später spielte ich Balkanmusik, nun war ich Balkanexperte. Dazu die Kummerbuben und die Sachen mit Reverend Beatman. Überall wollte man mich in eine Schiene bringen. Darum macht es mir jetzt so viel Freude, dass das Deutsche Symphonieorchester meine Sachen spielt, meine Platten bei Invada erscheinen - eine völlig andere Welt - und dass ich mit dem gleichen Programm im Berliner Berghain auftreten kann.
Dein vorletztes Album, «Mario Batkovic», bestand aus reinen Soloaufnahmen ohne Tricks und Overdubs. Beim neuesten, «Introspectio» hast Du mit dem Cantus Domis Chor, dem Avant-Gardisten Colin Stetson und Leuten aus dem Umkreis der Szene von Bristol gearbeitet. Vom ersten Album her hätte man meinen können, Du seiest ein Akkordeon-Purist. Das bist Du eindeutig nicht!
Ich hätte ohne weiteres alle paar Jahre nochmal das erste Album kopieren können. Das interessiert mich nicht. Ich sehe mich wie ein Forscher. Einer, der immer wieder ausziehen muss, aufbrechen, um etwas Neues zu finden. Ich gebe mich nicht ab mit blosser Reproduktion.
Wie oft bist Du eigentlich umgezogen?
Keine Ahnung. Und nie bin ich gern freiwillig aufgebrochen. Ich habe aufbrechen müssen. Bin aufgebrochen worden. Das Einzige, was ich je wirklich aufbrechen wollte, waren die Türen der Musikindustrie. Es hat mich immer traurig gemacht - wenn du nicht gewisse Klischees bedienst, schaffst du es nicht. Aus der heutigen Warte kann ich sagen, ich habe eine gute Karriere, ich mache Musik, die zum Glück Anklang findet. Aber ich wünsche niemandem meine Karriere.
Warum nicht?
Die letzten zehn Jahre waren OK, toll, ja. Aber ich habe dreissig Jahre warten müssen, bis ich Musiker sein durfte, wie ich es sein wollte. Vorher war es verboten. Eine Handorgel, so wie ich sie spielte, auf einer Hauptbühne, nein. Um mein erstes Soloalbum zu veröffentlichen, musste ich mein eigenes Label gründen. Von den grossen Labels, den ich es schickte, bekam ich Kommentare wie «diese Musik ist unanhörbar», «macht mich aggressiv» und «fürs Altersheim».
Woher hast Du die Kraft genommen, gegen so vernichtendes Desinteresse anzukämpfen?
Bedingungslose Liebe. Nicht Ego-Trip. Ich liebe Töne. Ich habe sie so geliebt, dass ich beschloss, den Weg des grössten Widerstandes zu gehen. Auch wenn das nun kitschig und pathetisch tönen mag. Man hat mir oft vorgeworfen, ich sei unrealistisch, zu stark gefühlsgetrieben. Aber es ist ein Fakt. Ich würde das alles nicht machen, wenn ich diese Liebe nicht hätte.
Bist Du nostalgisch veranlagt?
Ich glaube, ich bin sehr nostalgisch. Ich habe eine Vision, die ich mir gern erfüllen würde im Leben. Wenigstens einmal würde ich gern auf der Veranda hocken und total verblödet dem Sonnenuntergang zuschauen. Ich meine: ohne einen Gedanken, ohne eine Komposition im Kopf, ohne etwas erreichen zu wollen – ohne zu glauben, dass ich aufbrechen müsste.
Das klingt paradox. Du machst ausbrechende Musik, träumst aber vom absoluten Nichtaufbrechen.
Meine Beziehung zur Musik ist eine «komische». Ich liebe sie. Sie ist mir wahnsinnig wichtig, fast wie ein Aberglauben. Gleichzeitig versuche ich, von ihr wegzurennen, denn sie nimmt mir alles Reale weg.
Weil, wenn Du Musik machst, bist Du nicht auf der Strasse und sammelst neue, reale Erlebnisse?
Nein, sondern wenn Du Musik machst, wenn es Dich «nimmt», dann blendet sich die ganze Welt aus. Ich bin jemand, der das Normale sucht. Am liebsten wäre ich Bauer. Die Leute in meiner Kindheit, sie hatten vielleicht eine Birne und ein bisschen Strom, den Rest haben sie selber hergestellt. Es geht mir nicht um dieses Öko-Ding. Es geht mir um «real life». Manchmal habe ich das Gefühl, dass das, was ich mache, alles eine virtuelle Welt ist. Jeden Tag frage ich mich: warum ist Musik so wichtig für mich? Jeden Tag zweifle ich an dem, was ich mache. Warum ist es wie eine Religion? Warum bin ich bereit, mich dafür «aufzusprengen», Anführungszeichen, ha! Schreib das nicht so! Aber warum bin ich bereit, mein Leben aufzugeben dafür? Ist es ein notorischer Zwang, den man entwickelt hat? Oder doch die Liebe? Shit, ich will ja eigentlich nur auf der Veranda sitzen und den Sonnenuntergang geniessen.